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  • AutorenbildLuca Kielhauser

Inklusion: Eine Frage der Grundeinstellung

Aktualisiert: 6. März 2023




Um eine weitläufig inklusive Welt zu schaffen, müssen wir als erstes unsere Gedanken neu ordnen und so manche Schlüsse im Zusammenhang mit "Behinderung" überdenken. Wichtig ist es, sich selbst nochmals ganz grundsätzliche Fragen zu stellen: Ist eine "Behinderung" per se etwas Negatives? Wenn nicht, ist es vielleicht das Umfeld, welches die Leute mit teilweise eingeschränkten Fähigkeiten behindert?


"Eine 'Behinderung' ist auch nur eine Eigenschaft, kein Problem. Zum Problem wird sie erst dann, wenn das Umfeld auf verschiedensten Ebenen es der betroffenen Person nicht ermöglicht, einen normalen Alltag zu führen."

Inklusion ist ein auf den ersten Blick eher äußerst ungreifbares Wort. Am Ende geht es jedoch um nicht mehr, als die Gleichstellung von Menschen mit "Behinderung" in allen Bereichen des Lebens und eine daraus resultierende Chancengleichheit. Die Vorstellung, dass das erreicht werden kann, liegt uns deshalb so fern, weil wir aktuell noch sehr weit davon entfernt sind – wesentlich weiter als vergleichbare andere Länder.



"Trotz Ihrer Behinderung!"


Lassen Sie es mich anhand eines Beispiels erklären: Im Zuge meiner Tätigkeit beim ORF moderierte ich zu Weihnachten einen Teil einer Fernsehsendung. Ein seltenes Bild: Ein Rollstuhlfahrer moderiert gemeinsam mit zwei Menschen ohne "Behinderung" und führt Interviews mit Leuten, die nicht aus dem Sozialbereich kommen. Tatsächlich ist dieses Bild noch heute relativ neu in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Die Folge: Leute kommen auf mich zu und sagen Sätze wie: „Super, dass du das trotz deiner Behinderung machst!“ Diese Aussage ist keineswegs negativ aufzunehmen, sie ist nett gemeint. Dennoch ist der Satz ein Idealbeispiel und ein Beweis dafür, dass eine gedankliche Gleichstellung von Menschen mit "Behinderung" bei uns kaum existiert, denn die Phrase „trotz deiner Behinderung“ macht keinen Sinn. Mit meiner "Behinderung" hat die Moderation ganz und gar nichts zu tun. Auch nicht mit dem Umstand, dass ich einen Beruf ausübe, bei dem man zwangsläufig in der Öffentlichkeit steht.


Ein weiteres Beispiel: Ich pendle täglich mit Zug und Bus zur Arbeit. Während ich auf den Zug warte, kommt eine fremde, nette ältere Dame zu mir und sagt: „Ich finde das toll, dass Sie das machen. Obwohl Sie eine Behinderung haben, lassen Sie sich nicht unterkriegen.“ Nach dem ersten Satz wusste ich nicht genau was sie meinte. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade darauf konzetriert, mein Zugticket für meine bevorstehende Dienstreise über eine App zu buchen - eine total normale Sache und wer das auch schon mal gemacht hat weiß, das kann ein kompliziertes Unterfangen sein. Mein fragender Blick verleitete sie dann wohl zum zweiten Satz. Ich denke mir: Wie kommen die meisten Leute einheitlich auf diesen Gedanken? Ich pendle täglich in die Arbeit und verrichte einen Job – wie Millionen andere Menschen in diesem Land. In meiner Welt ist nichts daran besonders. In der Welt der Menschen, die Inklusion noch nicht verstanden haben – das ist der überwiegende Teil – ist das scheinbar eine heroische Leistung. Doch um ehrlich zu sein, nach langem Auseinandersetzen mit dieser Thematik muss ich sagen, dass meine Welt hier wohl die "richtigere" und "gesündere" Anschauung vertritt.



Normalität für die allermeisten Betroffenen


Argumentierbar ist das sogar mit statistischen Daten: Die deutliche Mehrheit der Menschen mit "Behinderung" sieht die "Behinderung" als ganz normale Körpereigenschaft – wie eine Haarfarbe – an. Für diese Menschen wird es erst dann herausfordernd, wenn es Barrieren im Umfeld gibt. Und trotzdem wird man regelmäßig mit solchen Aussagen konfrontiert. Das deprimierende und zugleich amüsante daran ist, wenn man Leuten erklärt, dass es mir selbst überhaupt nicht schlecht geht, meine "Behinderung" in meinem Alltag eigentlich kein Thema ist und ich überhaupt nicht mit "MEINER SITUATION" hadere, weil ich nicht in "EINER SITUATION" bin (ich wurde so geboren), dass sie daraufhin oft sagen: "Ja, weil du eine starke Persönlichkeit hast und EINZIGARTIG bist." Das ist einfach falsch, da - wie bereits oben thematisiert - statistisch die allermeisten Menschen, die von Geburt an eine "Behinderung" haben, die genau selbe Ansicht haben und sich das mit der genau selben Antwort jedes Mal auf's Neue anhören können.



Eine unbewusste Gefahr


Die Gefahr: Wenn man das jahrzehntelang von Menschen eingeredet bekommt und selbst gerade in einer – unabhängig von der "Behinderung" – schwierigen Lebensphase ist, beginnt man plötzlich über diesen Unfug nachzudenken. Stellen Sie sich vor, Sie bekommen über zwanzig Jahre hinweg von bekannten aber auch fremden Menschen unabhängig voneinander regelmäßig und überall sinngemäß gesagt: „Ich finde es wahnsinnig toll, dass Sie das trotz Ihrer Haarfarbe machen und sich nicht daheim einschließen.“ Irgendwann beginnt man wirklich zu glauben, dass etwas nicht passt und dann gibt es da plötzlich ein riesiges Problem im Leben, welches eigentlich gar nicht existiert. Dieses alte Denkmuster bringt aber noch ein zweites großes Problem mit sich: Leute die das unbewusst vertreten, stellen sich gesellschaftlich über Menschen mit "Behinderung" - oft unabsichtlich und aus gar keiner bösen Absicht. Dennoch ist es ein Problem, denn wenn "Behinderung" als nicht normal angesehen wird, sondern die Betroffenen als "arm" eingeschätzt werden, ist Inklusion nicht realisierbar. Denn: Das Bild, das mit dieser Einstellung gezeichnet wird, lässt sich nicht mit dem Bild von Menschen mit "Behinderung", die aufgrund von Chancengleichheit einen völlig gleichen Alltag führen, vereinbaren.



Nur Sie können das ändern


Ich würde mich freuen, beim nächsten Mal, wenn Sie irgendwo im Alltag einen Menschen mit "Behinderung" sehen, Ihre eigenen Gedanken zu beobachten. Und falls sich jemand aufgrund einer Aussage enttarnt, die Grundbasis von Inklusion noch nicht ganz verstanden zu haben, können Sie denjenigen gerne freundlich darauf hinweisen und erklären, warum er denn möglicherweise (oder bestimmt) nicht richtig liegt. Es liegt in unser aller Verantwortung, dem Idealzustand täglich einen kleinen Schritt näherzukommen. Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Text sollte sein: Eine "Behinderung" ist auch nur eine Eigenschaft, kein Problem. Zum Problem wird sie erst dann, wenn das Umfeld (auf verschiedensten Ebenen) es nicht ermöglicht, einen normalen Alltag zu führen. In der nächsten Ausgabe darf ich Ihnen anhand eines Beispiels näherbringen, warum Inklusion so wichtig ist. Ich freue mich darauf!



 

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Dieser Text von mir ist ursprünglich in meiner Kolumne im Straßenmagazin Megaphon erschienen.



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